Die Seychellen sind berühmt für weiße Strände, türkises Wasser und tropische Landschaften. Weniger bekannt: Die Insel-Nation ist auch ein Hotspot für Drogen.
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NewsTranskript
00:00Ein scheinbar perfektes Paradies, direkt neben einer Drogenhölle.
00:05Türkisblaues Wasser und verzweifelte Abhängige.
00:09Ich habe versucht aufzuhören, aber es ist wirklich schwer.
00:13Auf den Seychellen ist einer von zehn Erwachsenen heroinabhängig. Die wohl höchste Rate der Welt.
00:19Ich habe Angst, weil ich meine Kinder liebe. Ich möchte nicht, dass sie Drogen nehmen.
00:24Warum sind die wunderschönen Inseln der Seychellen ein Drogen-Hotspot?
00:27Wir sprechen mit Küstenwache, Drogenabhängigen und Dealern und schauen hinter die Fassade des Urlaubsparadieses.
00:44Wir treffen Gigi. Sie ist im fünften Monat schwanger, erwartet ein Mädchen.
00:50Gigi fängt schon als Teenager an, Heroin zu nehmen. Erst rauchte sie es, dann griff sie zur Spritze, wie ihr damaliger Freund.
00:58Ich habe gesehen, wie er es gemacht hat. Und dann habe ich es einfach nachgemacht, als er nicht da war.
01:05Und nach einer Woche habe ich angefangen, mich krank zu fühlen. Mir ging es nicht gut.
01:10Und als ich es wiedergenommen habe, fühlte ich mich plötzlich normal. Und so habe ich es weitergemacht. Bis jetzt.
01:19Heute raucht oder spritzt sich Gigi die Droge dreimal am Tag. Ihre Sucht ist stark. Aufhören unmöglich.
01:26Ich habe versucht, es ein, zwei Tage nicht zu nehmen. Aber ich kann nicht. Es tut zu weh.
01:32Macht sie sich Sorgen um ihr ungeborenes Kind?
01:34Natürlich habe ich Angst. Ich weiß, dass mein kleines Baby auch leidet. Ich bin nicht herzlos.
01:41Und Geld ist knapp.
01:44Ich musste mich verkaufen, um an Geld zu kommen.
01:48Es fühlte sich furchtbar an. Jeder schaut dich an, zeigt mit den Fingern auf dich.
01:54Du wirst angesehen wie ein Verbrecher. Wie ein Stück Müll.
01:59Auch meine Familie hat mich verstoßen. Lange hatte ich keine Freunde.
02:05Keine Freundin.
02:07Du wirst angesehen wie ein Verbrecher. Wie ein Stück Müll.
02:11Auch meine Familie hat mich verstoßen. Lange hatte ich keine Freunde.
02:17Keine Familie. Nur mich selbst.
02:25Wir werden Gigi noch einmal wiedersehen. Aber zuerst schauen wir uns das Drogenproblem, auf den sie schellen, genauer an.
02:31Wie groß ist es wirklich? Antwort, sehr groß. Laut einer Umfrage der Regierung ist fast jeder zehnte Erwachsene süchtig.
02:4010 Prozent ist eine sehr hohe Zahl, viel höher als in den USA zum Beispiel.
02:47Das ist Wanda Pfelber-Brown. Sie forscht seit Jahren zum internationalen Drogenhandel.
02:52Das sind dramatische Umstände mit massiven Konsequenzen, nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für den Arbeitsmarkt.
03:02Denn Heroin ist extrem gefährlich. Es verursacht bei Konsumenten ein sofortiges Gefühl von Euphorie, gefolgt von schweren Entzugserscheinungen.
03:12Die sorgen dafür, dass Menschen sehr schnell süchtig werden und potenziell sterben. Heroin gilt als eine der tödlichsten Drogen der Welt.
03:19Zurück zu Gigi und ihrem Freund, den wir Bobo nennen.
03:27Er möchte anonym bleiben, um seine Identität zu schützen. Die beiden nehmen regelmäßig Heroin zusammen.
03:35Er nennt Gigi seine Ärztin, denn ohne sie kann er sich nicht mehr spritzen.
03:40Alle Wehen, die er selbst erreichen kann, sind nach jahrelangem Drogenkonsum völlig vernarbt.
03:46Was suchst du? Die Wehne. Man muss es in die Wehne spritzen.
03:54Schwere Entzugserscheinungen wie Kopfschmerzen, Gliederschmerzen und Übelkeit verschwinden nur mit neuem Konsum.
04:01Jetzt bin ich drin. Jetzt kann ich alles schaffen.
04:06Nach dem Spritzen raucht er Heroin zusätzlich.
04:09Du musst den Rauch einatmen.
04:13Warum ist Heroin auf den Seychellen so verbreitet? Ein Grund, es ist billig.
04:19Vor Ort hören wir, in den letzten zwei Jahrzehnten sei der Preis für eine durchschnittliche Dosis von etwa 35 auf nur noch 7 Dollar gesunken.
04:26Außerdem ist das Durchschnittseinkommen hier deutlich höher als in anderen ostafrikanischen Ländern.
04:31Unter anderem aufgrund der florierenden Tourismusindustrie.
04:34Die Tourismusbranche macht das Land lukrativ und interessant für Drogenhändler, weil Touristen hier Drogen kaufen oder als Drogenkurier dienen können.
04:45Viele der rund 300.000 jährlichen Touristen ahnen davon nichts.
04:51Ich habe nichts bemerkt. Die Leute hier sind sehr freundlich. Ich denke nicht, dass sie sowas machen würden.
04:57Ich habe nichts gesehen. Alles super.
05:00Aber das ändert sich langsam.
05:03Wenn man so in den Außenbezirken von Viktoria war, hat man dann schon den einen oder anderen gesehen, der sichtlich unter Drogeneinfluss gestanden hat.
05:11Man merkt, dass generell der Drogenkonsum schon ein Thema ist. Also man wird abends oft mal angesprochen, ob man irgendwas kaufen möchte.
05:20Sollte das Drogenkonsum in der Nähe von Viktoria sein, ist es ein Problem.
05:25Sollte das Drogenproblem für Touristen noch sichtbarer werden, wäre das für die lokale Bevölkerung dramatisch.
05:32Die Tourismusbranche ist eine der Haupteinnahmequellen des Landes. Fast die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes und viele Arbeitsplätze hängen davon ab.
05:40Doch einige kämpfen gegen das Problem an. Hinter diesen Toren liegt die Militärbasis der Küstenwache.
05:48Wir treffen Major Hans Radegon. Er erklärt uns, warum es so schwierig ist, den Drogenhandel unter Kontrolle zu bekommen.
06:10Ich zeige Ihnen jetzt unsere Schiffe und wie wir versuchen, den Drogenhandel auf See Herr zu werden.
06:18Ein großes Problem sind die vielen Inseln des Landes, oder?
06:23Ja, es ist ein großes Problem, die alle zu kontrollieren und wir machen da auch gar kein Geheimnis draus.
06:30Wir müssen öffentlich darüber sprechen, denn es gibt viele Einfallstore für die Schmuggler.
06:35Und unsere Kräfte sind begrenzt. Aber wir arbeiten hart, um eine gewisse Sicherheit zu bieten.
06:45Diese Schellen bestehen aus 115 Inseln. Unmöglich, alle Meeresgrenzen zu jeder Zeit zu kontrollieren.
06:52Wir haben Inseln hier und hier. Sie liegen sehr weit auseinander.
06:57Normalerweise dauert es etwa 18 Stunden von der Hauptinsel Mahé bis zu dieser Insel.
07:01Schauen wir uns das im Detail an. Warum ist dieses winzige Land zu einem Hotspot des Drogenhandels geworden?
07:09Die vielen Inseln der Seychellen liegen verstreut im Indischen Ozean.
07:13Und sie liegen an einer der bekanntesten Drogenhandelsrouten der Welt.
07:18Doch was bedeutet das? Die Antwort liegt in der Verbindung zwischen opiumproduzierenden Regionen und den globalen Absatzmärkten.
07:25Der goldene Halbmond, der sich über Teile des Irans, Afghanistans und Pakistans erstreckt, ist einer der größten Heroinproduktionsgebiete der Welt.
07:34Hier wird Schlafmohn angebaut. Der Saft der Pflanze wird dann zur Herstellung von Heroin verwendet.
07:42Die politischen Verhältnisse schaffen hier ein ideales Umfeld für die Produktion und den Export von Opiaden.
07:48Politische Instabilität und Armut sind weit verbreitet.
07:51Vom goldenen Halbmond aus machen sich die Schmuggler auf den Weg.
07:57Die Schiffsrouten führen über den Indischen Ozean, die Seychellen dienen auf der Strecke als Umschlagplatz.
08:03Von dort geht es weiter nach Ostafrika und weiter bis zu den lukrativen Märkten Europas.
08:09Die Seychellen haben den Drogenhandel nicht unter Kontrolle, so wie viele andere Inseln.
08:15Sie sind auf externe Hilfe angewiesen, um das zu ändern.
08:18Auch die Europäische Union hat Kriegsschiffe in den Indischen Ozean entsandt.
08:27Die Drogen, die wir abfangen, sind auch für den europäischen Markt bestimmt. Wir verhindern das, indem wir unsere Arbeit hier machen.
08:34Er erzählt uns, dass die Küstenwache 2024 etwa 2,5 Tonnen Drogen beschlagnahmt hat.
08:41Ein deutlicher Anstieg gegenüber den Vorjahren.
08:43Auf diesen Booten haben sie Haschisch, Meth bis hin zu Heroin gefunden.
08:48Aber sie beschlagnahmen nur einen Bruchteil dessen, was geschmuggelt wird.
08:59Die Schmuggler haben ihre Methoden geändert. Sie legen die Drogen jetzt direkt aufs Deck.
09:05Und sobald sie uns sehen, werfen sie sie über Bord, damit wir sie nicht mit ihnen erwischen.
09:09Die Küstenwache hat zwar vier Überwachungsboote, aber nur eins davon ist tatsächlich auf Patrouille, die anderen im Hafen.
09:16Der Grund dafür, nicht genug Personal.
09:26Wir treffen uns noch einmal mit Bobo. Er ist tief in die Drogenhandelsszene des Landes verstrickt.
09:31Er handelt schon seit Jahren mit Heroin, erzählt er uns. Sein Kundenstamm ist seitdem gewachsen, sagt er. Und es sind nicht nur Einheimische.
09:45Meine Kunden? Ich habe eine Menge Kunden. Frauen, Männer, Ausländer, Touristen. Alles Mögliche.
09:53Diese Schellen schwimmen in Drogen. Sieht er sich als Teil des Problems?
09:59Ich bin mir bewusst, dass ich eine Menge Familien beeinflusse. Aber so ist es nun mal.
10:07Ich muss überleben. Ich habe keine Ausbildung. Was soll ich sagen?
10:14Ich habe keine Ausbildung. Ich habe keine Familie.
10:18Ich habe keine Ausbildung. Was soll ich sonst machen?
10:25Bobo sagt, für jeden erwischten Drogenhändler bleiben viele unbemerkt. Und er vermutet, dass selbst die Drogen, die abgefangen werden, nicht unbedingt verschwinden.
10:38Auch der Staat ist in den Drogenhandel verstrickt. Was glaubst du, was sie mit den Drogen machen? Sie verbrennen?
10:43Das haben sie schon lange nicht mehr gemacht. Das Einzige, was sie verbrennen, ist irgendein Pulver. Es herrscht viel Korruption.
10:52Die Drogen, die gerade verkauft werden, kommen von dem Boot, das beschlagnahmt wurde.
11:00Wir können seine Anschuldigung nicht verifizieren. Doch von Korruptionsvorwürfen gegenüber den Strafverfolgungsbehörden hören wir hier immer wieder.
11:09Korruption ist ein sehr großes Problem, auf den sie schälen. Nicht nur die Polizei, auch das Justizsystem ist von Korruption und krimineller Unterwanderung betroffen.
11:21Das Drogenproblem scheint nicht unter Kontrolle, nicht einmal im größten Gefängnis des Landes.
11:27Berichten zufolge werden dort Drogen eingeschmuggelt. Vor kurzem kam es sogar zu einem Aufstand, bei dem zwei Menschen getötet wurden.
11:34Der Grund? Ein Insasse, der mit dem Drogenhandel innerhalb des Gefängnisses in Verbindung gebracht wird, sei in Isolationshaft gekommen.
11:42Das habe den Drogenfluss zu anderen Häftlingen gestoppt, die dann rebellierten.
11:47Wir konfrontieren das Innenministerium und den Polizeipräsidenten mit den Korruptionsverwürfen und den Vorfällen im Gefängnis, erhalten aber keine Antwort.
11:56Wer auf den sie schälen Heroin konsumiert, wird oft ausgegrenzt.
12:01Viele Bürger sehen Süchtige als Kriminelle und nicht als Menschen, die Hilfe brauchen.
12:06Doch Kenneth möchte helfen. Er ist Sozialarbeiter in einem Gesundheitszentrum auf den sie schälen.
12:12Viele haben kein Verständnis für sie, aber ich schon, denn ich kenne ihre Perspektive.
12:17Heute hilft er den Heroinsüchtigen, ihre gebrauchten Spritzen gegen neue zu tauschen.
12:22Es ist ein Programm, das von der Regierung finanziert wird.
12:25Wenn Konsumenten alte Spritzen nutzen oder sie mit anderen teilen, kann leicht Hepatitis oder HIV übertragen werden.
12:31Beide Krankheiten sind lebensgefährlich, genauso wie Heroin selbst.
12:37Ich hatte selbst zwei Cousins, mit denen ich sehr eng war.
12:40Die beide an Drogenmissbrauch gestorben sind. Deshalb mache ich diese Arbeit.
12:47Er nimmt uns dorthin mit, wo am meisten Heroin konsumiert wird, in die Ghettos der Hauptstadt Viktoria.
12:53Wir müssen diskret filmen, denn die Atmosphäre ist angespannt.
12:59Wir gehen darüber.
13:02Wir gehen darüber.
13:05Wenn jemand Drogen konsumiert, dann ist das nicht nur ein Problem für ihn oder sie selbst,
13:10sondern auch für die Familie und die Gesellschaft.
13:16Kennet fährt von einem Ghetto zum nächsten.
13:19Viele Süchtige schaffen es nicht bis zum Gesundheitszentrum, also kommt er zu ihnen.
13:24Er weiß, dass es hier besonders leicht ist, in die Sucht abzurutschen.
13:27Perspektiven fehlen.
13:32Ich verurteile sie nicht. Mein einziger Wunsch ist es, zu helfen.
13:41Beim 23-Jährigen Romeo hat das geklappt.
13:47Vielleicht ist es gut.
13:50Vielleicht ist es gut.
13:52Du musst dir Ziele setzen, was du beruflich machen willst.
13:56Such dir eine Beschäftigung, körperlich und geistig.
14:04Romeo nimmt kein Heroin mehr, sondern Methadon, das mit einem anderen Bus verteilt wird.
14:11Ich habe jetzt schon fast acht Monate kein Heroin mehr genommen. Das hilft mir sehr.
14:16Aber wie der Teil der Heroinkonsumierung funktioniert, weiß ich nicht.
14:19Man wird stigmatisiert. Man hat zum Beispiel Schwierigkeiten, einen Job zu finden, wenn bekannt ist, dass man Methadon nimmt.
14:27Die Regierung finanziert das Programm, aber Kritiker sagen, dass die Bereitstellung von Methadon nicht ausreicht.
14:33Sie fordern einen ganzheitlichen Ansatz.
14:41Die Menschen, die Drogen verbrauchen, haben ein großes Problem.
14:46Die Menschen, die Drogen nehmen, brauchen nicht nur Methadon, sondern auch psychologische Unterstützung.
14:52Deshalb sollte es mehr Leute geben, die im Bereich Suchthilfe ausgebildet werden.
14:59Wir konfrontieren das Gesundheitsministerium mit den Vorwürfen.
15:03Marie-Josette ist die Direktorin der Abteilung für Drogenmissbrauch.
15:06Wenn Sie mich fragen, ob unsere Ressourcen ausreichen, um die vielen Aufgaben zu stemmen, dann muss ich die Frage mit Nein beantworten.
15:16Unsere größte Herausforderung ist das Personal, das geschulte Personal, das mit diesen Menschen arbeiten kann.
15:23Daran fehlt es uns.
15:28Welche Folgen hat es, dass es kein einziges stationäres System gibt, das die Drogen verbraucht?
15:33Welche Folgen hat es, dass es kein einziges stationäres Rehabilitationszentrum für die geschätzten 5.000 bis 6.000 Süchtigen gibt?
15:41Ja, natürlich hat das Auswirkungen.
15:44Wenn wir wenigstens einige Menschen in eine Rehabilitationsklinik bringen könnten,
15:49und die dann abstinent und bereit sind, in die Gesellschaft zurückzukehren, wäre das eine große Hilfe.
15:56Aber wir haben nur eine Klinik in Planung.
15:59Hoffentlich wird sie nächstes Jahr eröffnet.
16:10Nach unserer Zeit, auf den sie schellen, wird klar, die Drogenkrise hier hat viele Faktoren.
16:16Fehlende Hilfseinrichtungen und finanzielle Mittel, Korruption und die Nähe zu lukrativen Drogenrouten.
16:23Kenneth will trotzdem nicht aufgeben.
16:29Ich hoffe, dass meine Insel eines Tages eine drogenfreie Insel sein wird.
16:34Und Gigis Wunsch?
16:36Dass ich mit dem Heroin aufhören kann. Dass ich wieder das Mädchen sein kann, das ich einmal war.
16:43Dass meine Kinder ein besseres Leben haben. Dass alle hier auf den Seychellen ein besseres Leben haben.
16:59Untertitel von Stephanie Geiges